Im Sommer, wenn der Tag morgens noch wie in frisches Stanniol gewickelt ist und betörend nach Lindenblüten riecht, tut Berlin kurzzeitig so, als sei sie eine ganz feine Dame.
Dann beginnt für mich die langersehnte FKK-Zeit. Nein, nicht
das was Sie denken. Ich meine die Freikuchenkultur. Im Freien ein Stück Kuchen,
einen Kaffee und viel Sonne genießen! Das ist für mich der Höhepunkt des Tages.
Ich ziehe mich fein an, suche mir eine gemütliche Kaffeehausterrasse auf dem
Kurfürstendamm oder anderswo, esse ein Stück Torte und trinke dazu einen
Kaffee, lese, schreibe, zeichne etwas oder flirte mit der netten
Tischnachbarin. Dabei fallen mir gelegentlich Sätze ein wie: „Ein Törtchen kann
ein Gedicht sein, aber ein Gedicht niemals ein Törtchen.“
Ich nenne es „Konditern geh`n“ – nach dem alten Lied „Warum
soll er nicht mit ihr mal Konditern geh'n?“ von Claire Waldoff aus den
Dreißigerjahren. Es gibt für mich kein schöneres Geräusch, als das Klappern von
Kuchengabeln Nachmittags um Drei.
Konditern ist für mich so etwas wie ein Belohnungssystem.
Wenn man etwas Schönes erlebt, wird der Botenstoff Dopamin in unserem Gehirn
aktiv. Ein Glückshormon. Das nutze ich, um häufiger die Dinge zu tun, zu denen
ich eigentlich nicht so richtig Lust habe, die ich aber unbedingt tun möchte
oder muss. Steuererklärung, Sport oder andere unangenehme Alltagssachen. Sorgen
verfliegen wie Puderzucker im Wind. Probieren Sie es doch auch einmal aus.
Leider werden schöne Cafés immer mehr von ungemütlichen
industriellen Aufbackstationen verdrängt. Ach, wie schön war es bei Café Kleimann
im Schatten der Lambertikirche ein Stück der weltberühmten Baumkuchen-Nougat-Torte zu verzehren. Oder im Straßencafé von Café Grotemeyer mit
einem fabulösen Stück Schwarzwälder-Kirsch-Torte mit Blick auf den
wunderschönen Erbdrostenhof zu genießen. Von Café Schucan will ich gar nicht
erst anfangen.
Auch in Berlin denke ich oft sehnsuchtsvoll an die großen
traditionsreichen Konditoreien zurück. Legenden wie Café Kranzler, Café Möhring
oder das plüschige Café Richter in Charlottenburg. Aus. Vorbei. Schluchz!
Huch, jetzt habe ich aber emotional sehr nah am Kuchenblech
gebaut. Schluss damit. Was ich jetzt mache? Konditern natürlich. Denn ohne
Torte und Gebäck, hat das Leben keinen Zweck!
Dieser Text erschien auch in meiner Kolumne "Seitenblick" am 15.8.2020 in der Münsterschen Zeitung
Foto: Privat
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