Ich beobachte einen elegant gekleideten Mann, der unter dem Stahlskelett der klapprigen Hochbahn in Kreuzberg etwas befestigt. Als ich näher komme sehe ich, wie er sorgfältig einen kleinen Mann auf einem Fahrrad an einen Stahlträger klebt. Es ist eine dieser Plastikfiguren, wie sie in jedem Modellbahngeschäft erhältlich sind. Ein paar Typen mit Basecaps und Migrationshintergrund in der Nähe schauen kurz misstrauisch zu uns herüber, widmen sich aber dann wieder schnell ganz ihren Handys.
Ich erfahre von dem Mann, der seinen Namen nicht sagen möchte, dass er Künstler ist und schon seit einigen Jahren die Stadt mit seinen kleinen Figuren bestückt. "Ganz Berlin ist mein Atelier." sagt er und klebt eine weitere Figur auf einen wild wuchernden Zweig. "Sogar am Brandenburger Tor klebt schon seit Wochen eine unentdeckte Figur,..." schmunzelt er schelmenhaft, "...trotz der vielen Touristen. Manchmal besuche ich sie..."
Warum nur Figuren und keine Bilder, frage ich ihn. Er entgeht so der kunsthistorischen Last, die das Malen von Bildern mit sich bringt, antwortet er. Er überlässt seine kleinen Figuren der harten Realität - wie im richtigen Leben. Manche Figuren bleiben Jahre und manche sind schon nach wenigen Stunden verschwunden. "Ich sage niemanden, wo sich die Figuren befinden. Das überlasse ich dem Zufall des Betrachters. Umso größer und rätselhafter ist der Augenblick, wenn man zum Beispiel so eine kleine Figur Zeitung lesend auf einer weggeworfenen Coladose entdeckt. Und Fotos mache ich davon auch nie, weil es Aktions-Kunst ist. Manche Figuren werden nie entdeckt - aber das gehört zu meinem Konzept." Während er das sagt, schraubt er die Klebstofftube wieder zu, verabschiedet sich höflich und saust mit seinem Fahrrad davon. Also, Augen auf, vielleicht entdeckt man ja den geheimen Mikrokosmos des introvertierten Mr. X irgenwo in Berlin und lässt sich davon verzaubern.
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