Freitag, 31. Dezember 2010

Mit Schirm, Charme und Melone

Immer häufiger drücke ich die OFF-Taste meiner Fernbedienung, weil die Langeweile wie eine klebrige Masse aus meinem Fernsehgerät gekrochen kommt. Dann sehne ich mich wieder in die 60er Jahre zurück, als das Fernsehen zwar nur zwei Programme hatte, aber dafür die Serien besser waren. Eine davon war „Mit Schirm, Charme und Melone“ im ZDF.
Nicht wie heute, wo talentfreie Fernsehkommissare unrasiert an den Tatort zur Leiche geschlurft kommen und zum 498igsten Mal fragen: „Wer hat die Leiche gefunden?“ oder zum 987igsten Mal: „Wo waren Sie gestern zwischen 20 und 22 Uhr?“. Gähn! Und frustrierte, weil schlecht bezahlte, Komparsen stelzen hölzern steif durchs Bild. Grauenvoll! Und im Hintergrund fährt immer (aus Geldmangel) das ein und dasselbe Auto hin und her, um viel Verkehr vorzutäuschen. Mensch Regisseure! Glaubt ihr, ich merke so was nicht? 
Gottlob gibt es ja jetzt die komplette Kultserie auf DVD! Da kann mir das aktuelle Fernsehprogramm gestohlen bleiben. Die Serie lief von 1961 bis 1969 in 6 Staffeln, wovon leider nur die Staffeln 4 bis 6 mit der umwerfenden Diana Rigg besetzt waren. Als sexy Agentin Emma Peel und Patrick McNee als smarter Spion John Steed lösen sie in der Kultserie mit spritzigen Dialogen in den skurrilsten britischen Locations der 60er Jahre ihre Fälle. Selbst die noch so kleinste Nebenrolle ist hochkarätig besetzt. Von der stets avantgardistisch gekleideten Emma Peel haben damals alle Männer von 8 bis 80 geträumt. Ich auch. Und von John Steed mit seiner eleganten Lässigkeit und gesegnet mit göttlichem Gentleman-Humor wahrscheinlich alle Frauen.
Sie fuhr mit einem 66er Lotus Elan, er mit einem 26er Rolls-Royce Silver Cloud, manchmal auch einem 29er 4,5 Liter Bentley durch die wunderbare englische Landschaft.
Meist geht es in den Schwarz-Weiß-Folgen um größenwahnsinnige Wissenschaftler, exzentrische Verschwörer, wirre Fanatiker und generell um das Streben nach Weltherrschaft. Ich stelle mal die Behauptung auf, dass so eine Serie heute nicht mehr auf die Beine zu stellen ist. Nicht nur, dass es so exzellente Serien-Handwerker, Autoren und Schauspieler nicht mehr gibt. Sondern sie wäre heute einfach schlichtweg nicht mehr bezahlbar. Und obendrein trauen sich die fantasielosen Entscheidungsträger beim deutschen Fernsehen nichts Neues mehr. Sie haben schon viel zu früh die Hosen voll und setzen nur auf Bewährtes. Und die Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseure schielen immer nur mit einem Auge nach Hollywood und verlieren somit ihre Authentizität. 
Der Erwerb dieser Gesamtedition lohnt sich! Außerdem führen Oliver Kalkofe und Wolfgang Bahro mit Insiderwissen in die Folgen ein und geben ihre persönlichen Bewertungen ab. Allen Fernsehschaffenden müsste man verordnen, sich diese Serie in Klausur anzusehen – dann würde ich vielleicht nicht mehr so früh die OFF-Taste der Fernbedienung drücken.

(Erschienen bei www.kinowelt.de)

Sonntag, 26. Dezember 2010

GANS ODER GAR NICHT

Dienstagnachmittag in einem Café am Klausener Platz. Ein Gast erzählt, was er Heiligabend vorhat: "Da bin ich wie jedes Jahr zwischen 13.30 und 14 Uhr bei Karstadt und warte auf die Lautsprecherdurchsage, dass ab sofort alle Weihnachtsgänse nur noch die Hälfte kosten."

Sonntag, 19. Dezember 2010

Terror-Clown

Man hat gerade sein Sakko frisch aus der Reinigung geholt und freut sich auf einen ruhigen und entspannten Kabarett-Abend. Da ist man aber bei Leo Bassis Programm „La Vendetta“ (Die Blutrache) schwer auf dem Holzweg.
Der Maniac Bassi verwandelt die Bühne im zum Trümmerfeld, schlägt Golfbälle und Eier in den Zuschauerraum und kommt bedrohlich, mit einer Schere bewaffnet, ins Publikum. Dann bohrt der Mittfünfziger Löcher in unzählige, unter Druck stehende, Cola-Dosen, so dass auf den vorderen Plätzen einige Zuschauer mit weißen Hosen panisch flüchteten. Darauf Leo Bassi lakonisch: „Das ist hier keine Blue-Man-Show!“
So was hat man noch nicht gesehen, der Mann ist ein Wahnsinniger! Mit unglaublicher Radikalität und vollem Körpereinsatz geht er radikal gegen kapitalistische Verblödung vor und arbeitet da­bei geschickt mit allen Techniken der Irritation. Es bleibt einem das Lachen im Halse stecken und man ist froh, wenn er wie­der auf die Bühne geht und das Sakko sauber geblieben ist.
Das alles untermalt Bassi zwischendurch mit rührend komisch vorgetra­genen kleinen Ge­schichten. Etwa wenn er pathetisch mit seiner an­genehmen Reibeisenstimme Erlebnisse in einem kenianischen Luxushotel mit Golfplatz für die weißen Imperialistenschweine er­zählt. Oder sein kurioser Aufenthalt in einem usbekischen Haus ei­nes ange­sehenen Taliban-Führers.
Leo Bassi sensibilisiert die Zuschauer. Sein Spiel mit der Angst be­rührt Tabus und stellt manches bloß. Er gibt alles und schont nie­manden, am wenigstens sich selbst. Wenn er sich nämlich am Ende seiner Show nackt auszieht, mit 5 Kilo Honig überschüttet, sich in einer Turbine federn lässt und danach triefend, wie eine Mischung aus Engel und Zombie, durch den Zu­schauerraum wankt. Vorsicht – diese Show ist nichts für schwache Nerven!
Nachdenklich und voller Adrenalin (ungefähr der gesamte Jahres­verbrauch) verlässt man seine unvergessliche Show – ach ja, und erleichtert. Denn das frisch gereinigte Sakko ist auch noch sauber geblieben.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Du bist was Du isst

Dienstagmittag bei Rogacki in der Wilmersdorfer Straße am Stehimbiss. Ein altes Ehepaar isst Bratfisch. Die Frau deutet mit der Gabel auf ein junges Paar, das am Feinschmeckerimbiss gegenüber Austern schlürft: "Kiek ma Orje, Kapitalisten!"