Sonntag, 27. November 2011

Gefährlicher Möhrensaft

Es ist ein grauer Novembertag und vor meinem Fenster läuft ein Schwarzweißfilm ab. Ich beschließe, mir ein Glas frischen Möhrensaft zu machen. Das bringt Farbe nicht nur in den Alltag sondern auch in den Körper, gibt einen guten Teint und stärkt die Sehkraft für die Augen. Oder haben Sie schon mal ein Kaninchen mit Brille gesehen? (haha, alter Kalauer). Ich habe ein selbst erfundenes Spezial-Rezept und das geht so: Je nach Größe 4-6 Möhren, 1 säuerlicher Apfel, eine kleine Ingwerknolle und eine Gewürznelke.
Hinterher kommt noch etwas Zucker, 1 Spritzer Zitrone und ein Schuss Kürbiskernöl ins Glas. Kurz umrühren – fertig! Lecker! Als Deko ein paar Minzeblätter. Fröhlich vor mich hin pfeifend und voller Vorfreude auf den Power-Drink stecke ich nach und nach alles in den Entsafter, den ich mir schon zugelegt hatte, als noch die Berliner Mauer stand. Er ist zwar laut wie eine Boeing 707, tat aber immer brav seine Dienste. Ein Vorwendemodell sozusagen.
Als ich die Gewürznelke hineintue, wird das Motorgeräusch plötzlich etwas unruhig und der Entsafter beginnt zu zittern, als ob er vor etwas Angst hat. Ehe ich begreife, was los ist, gibt es einen unerwarteten Knall, laut wie ein Pistolenschuss und messerscharfe Plastikteile und zerraspelte Möhrenstücke fliegen wie Geschosse in der Küche herum. Ein scharfes Plastikteil durchschlägt sogar die Leinwand von einem Ölbild.
Noch Wochen später fand ich Plastikteile im Schlafzimmer und im Arbeitszimmer. Der Entsafter ist regelrecht explodiert. Ich bleibe wie durch ein Wunder unverletzt. Ja, nicht das kleinste Stückchen touchiert mich. Da muss mein Schutzengel in dem Augenblick richtig auf Zack gewesen sein. Tja, was so eine kleine Gewürznelke alles anrichten kann...

Sonntag, 20. November 2011

Traum in Weiß

KäsesahnetorteIch hatte schlechte Laune. Ein grauer Novembertag und Sorgen über Sorgen. Außerdem müsste ich mal wieder eine Tortenkritik schreiben, dachte ich sorgenvoll, während ich über die Goltzstraße radelte. Aber worüber? Denn die letzten Tage waren voll mit Interviewterminen, so dass ich kaum zum Konditern kam.
Plötzlich sehe ich ein Schild mit dem dazugehörigen Geschäft: „Café Sorgenfrei“. Ich fand eine Laterne, an der ich mein altes Miele-Fahrrad von 1953 anschloss und betrat das Café, legte ab und nahm auf einem pastellfarbenen Nierensessel der 50er Jahre Platz. Ich bestellte ein Stück Käsesahnetorte. Dazu einen Cappuccino und ein Glas Leitungswasser.
Ich erfuhr dass das „Café Sorgenfrei“ eine Kombination aus Café und Trödelladen der 50er- und 60er-Jahre ist. Man kann die ganze Einrichtung kaufen. Hier kann es passieren, dass mir der Sessel unter meinem gräflichen Gesäß weggekauft wird. Ich sehe in der Ecke unseren alten pastellfarbenen Küchenschrank mit integriertem Brotfach wieder und die passende Uhr ist auch da. Ich entdecke einen alten Rewe-Kalender von 1961 und diverse Tütenlampen.
In dem Laden, in dem einmal eine Fleischerei untergebracht war, kann man noch die wunderschönen Villeroy & Boch-Fliesen von 1910 an Wänden und Fußboden bewundern. Dazu hört man die Musik der Fifties und Sixties: Buddy Holly, Duke Ellington, Caterina Valente, Pat Boone, Connie Francis, Dean Martin. Es entweicht mir ein nostalgischer Erinnerungsseufzer nach dem anderen.
Ich blättere in der alten Revue von 1958, in der ausführlich über „Soraya – die Tragik einer Kaiserin“ berichtet wurde. Denn die damalige Gattin des Persischen Kaisers wurde nicht schwanger und der Schah wartete unruhig auf den ersehnten Thronfolger. Wir Kinder sangen damals immer nach der Melodie des „River Kwai Marsches“ auf der Straße spöttisch: "Schade - Soraya kriegt kein Kind. Schade - der Schah hat Luft im Spind."
Obwohl zwischen den Supermächten USA und UdSSR kalter Krieg herrschte, war die Zeit nicht so gefährlich wie heute mit all den terroristischen Anschlägen aus den unterschiedlichsten Lagern und der Weltwirtschaftskrise mit all ihren hochkriminellen Spekulanten an den Banken und Börsen der Welt. Nein, es war regelrecht gemütlich! Ja, sogar etwas naiv. Als Kind fuhr man chromblitzende Tretroller, war im Micky-Maus-Club und aß Nappos und Waffelbruch. Eine Kugel Eis kostete 10 Pfennige. Die Trümmergrundstücke des 2. Weltkriegs waren herrliche Abenteuerspielplätze und über die autoleeren Straßen knatterte höchstens mal eine Zündapp. Fernsehen? Hatte kaum jemand. Und wenn man mal telefonieren musste, ging man zum Nachbarn. Mittags gab es „Arabisches Reiterfleisch" á la Clemens Wilmenrod und in den Wartezimmern der Ärzte standen noch wie selbstverständlich Aschenbecher, von denen reichlich Gebrauch gemacht wurde und es gab niemand, der sich darüber beschwerte. Auch brauchten noch nicht vor den Geschäften Wachleute postiert werden, weil einfach nichts passierte.
Während ich noch so vor mich hin träumte, stand sie plötzlich vor mir! Ein Traum in Weiß - die Käsesahnetorte. Sie war gut gekühlt und hatte eine gerade Schnittkante. Daran erkennt man übrigens gute Torten. Die hausgemachte Torte hatte einen großartigen Käsesahnegeschmack und war ein lukullischer Hochgenuss. Und nicht so, wie meine letzte Käsesahnetorte vor ein paar Wochen in einer renommierten Berliner Konditorei, dessen Name zu nennen, meine gute Erziehung verbietet. Jenes Machwerk verdiente nicht die Bezeichnung „Torte“, schmeckte wie Schrauben und Nägel und sprengte mir fasst die Fußnägel weg. Aber nicht diese Sorgenfreitorte. Sie war perfekt wie ein fabrikneuer Bentley.
Ich hatte Glück. Niemand hatte mir in der Zwischenzeit den pastellfarbenen Nierensessel unter meinem gräflichen Gesäß weg gekauft. Als ich bezahlte, nahm ich noch eine Schachtel „Welthölzer“ für 1,50 mit und verließ gut gelaunt das Café Sorgenfrei. Als ich wieder auf der herbstnebeligen Goltzstraße stand, wusste ich endlich, welche Tortenkritik ich auf meinem Blog schreiben soll. Nämlich diese hier. Eine Sorge weniger.

Sorgenfrei, Goltzstraße 18, 10781 Berlin-Schöneberg

Ehrliche Currywurst

Mittwochnachmittag vor der „Currystation 36“ in der Otto-Suhr-Allee. Ein Mann zahlt seine Currywurst und will gehen, als er vom Imbissverkäufer zurück gerufen wird. „Hier…“, er gibt dem Mann Geld zurück „…Sie haben einen Euro zu viel gezahlt!“ Der Mann guckt erstaunt: „Sie sind aber ehrlich!“ Da antwortet der Imbissverkäufer: „‘Ehrlich‘ ist mein Mädchenname.“

Diese Geschichte erschien am 20.11.2011 auch im Berliner TAGESSPIEGEL in der Sonntagsbeilage unter der Rubrik "Berliner Liste".