Sonntag, 29. September 2013

Jungbrunnen

Graf von Blickensdorf und Rolf Eden 2013Donnerstagnachmittag im Café Richter in Charlottenburg. Ein Herr möchte zahlen, aber die Bedienung lässt auf sich warten. Als sie endlich kommt, entschuldigt sie sich. Daraufhin lächelt der Gast sie an: “Ich bin ja noch jung – ich kann warten.” Der Herr war Rolf Eden.
Diese von mir persönlich erlebte und aufgeschriebene Geschichte, erschien am 29.09.2013 auch im Berliner TAGESSPIEGEL in der Sonntagsbeilage unter der Rubrik "Berliner Liste".

Dienstag, 24. September 2013

Rettet die Romantik!

Cafe Kredenz Torte Rettet die Romantik
Wie schön war es früher, mit der Bahn zu reisen. Man wurde von seinen Lieben zum Bahnhof gebracht, die sich selbstverständlich eine Bahnsteigkarte für 20 Pfennige kaufen mussten, suchte sich sein Zugabteil und stand dann solange plaudernd am offenen Abteilfenster, bis der Zug sich schnaubend und ächzend in Bewegung setzte. Man winkte sich gegenseitig durch den weißen Dampf der Lokomotive mit Stofftaschentüchern so lange zu, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Dann schloss man das Zugfenster, zog man sich aus einer hübsch gestalteten Zigarettenschachtel (ohne Krebswarnhinweis, siehe Foto) eine Zigarette, steckte sie sich genüsslich an und schaute melancholisch rauchend der vorbeiflitzenden Landschaft zu. Ende! Aus! Vorbei! Heute können die Zugfenster nicht mehr geöffnet werden und von außen hindurchschauen geht auch nicht mehr.
Diese Gedankenlosigkeit zieht sich durch alle Bereiche. Zum Beispiel Restaurantbesitzer, die es erlauben, dass ihre Gäste in hässlicher und unpassender Funktionskleidung von Jack Wolfskin (und ähnlich unerträglichen Firmen), mit schmutzigen Turnschuhen an den Füßen, unrasiert an ihren weißgedeckten Tischen herumlümmeln - von einer Krawatte ganz zu schweigen. Gute Kleidung hat etwas mit Wertschätzung zu tun. Wenn man seine liebe Tante besucht, geht man ja auch nicht in der Unterhose dort hin. Dasselbe gilt natürlich auch für Theateraufführungen.

Khedive Orient TabakEs gibt unzählige Kaffeehausketten mit ausschließlich englischen oder italienischen Namen, von denen nicht eines das schöne Wort „Kaffeehaus“ im Namen trägt. Und überall gibt es diesen schrecklichen „Coffee to go“, der wie Wasser schmeckt, das aus einem nassen Ärmel gewrungen wurde – das ist der Untergang des Abendlandes! Eine amerikanische Kaffeekette wurde sogar von Waffenlobbyisten für ihre Zwecke vereinnahmt und nimmt es so hin. Das früher wunderbare Café Kranzler auf dem Kurfürstendamm ist zu einem Touristennepp verkommen, weil in den restlichen Räumen sich eine Modekette mit hässlicher Mode breitmacht. Heute stehen vor jedem popeligen Drogeriemarkt martialische gekleidete Sicherheitsleute mit misstrauischem Blick, als wäre es das Bundeskanzleramt – dabei will man nur Klopapier kaufen. 

Dann die Nachrichtenüberflutung – ich will nicht 24 Stunden am Tag aus meinen Träumen gerissen werden, weil gerade in China eine Überschwemmungskatastrophe mit 20 toten Rindern stattfindet (so traurig wie das auch ist) – aber ändern kann ich es sowieso nicht. Sobald ein Bundesminister das Zipperlein hat, wird flugs ein „Brennpunkt“ mit wichtig guckenden Moderatoren ins Fernsehprogramm genommen. Es nervt einfach und die Nachrichtenagenturen verdienen sich daran goldene Nasen. Katastrophen gab es schon, seit es Menschen gibt, nur dass sie es nicht immer erfuhren, wenn am anderen Ende der Welt etwas passierte. Und das war auch gut so! Denn kein Mensch kann so viele Katastrophenmeldungen verarbeiten.
An den Tankstellen gab es noch höfliche uniformierte Tankwarte, die nicht nur das Auto betankten, sondern auch die Scheiben säuberten und nach dem Reifenluftdruck schauten. Heute sind Tankstellen zu überteuerten Supermärkten verkommen, in denen der mittelalte Gouda ein Benzinaroma hat. Und wenn man mal eine fachspezifische Frage zum Thema Auto an das Tankstellenpersonal hat, wird man mit Schafsblick angeschaut, als hätte man gefragt: „Wäre es nicht adäquat, den Usus heterogener Termini zu minimieren?“

Die Liste könnte man endlos fortsetzen: Heute wird Zitronensaft mit künstlichem Aroma hergestellt und Spülmittel mit echten Zitronen. Und in jeder Schule gibt es heute Schulpsychologen, die den Kindern Tabletten gegen übermäßige Lebhaftigkeit oder Trägheit verschreiben. Früher gab’s einen Schlag in den Nacken und der Fall war erledigt. Mit Fotoapparaten wurde NUR fotografiert und nicht telefoniert, Blutdruck gemessen und Pizza bestellt. Und so weiter, und so weiter…
Natürlich bin ich für den Fortschritt. Ich möchte nicht noch in der Postkutsche reisen müssen, schreibe lieber Emails als Briefe und will mein iPhone auch nicht mehr missen. Und gegen prügelnde Lehrer (die ich noch selbst erlebt habe) bin ich auch. Aber was mich stört, dass Dinge am Menschen vorbei gemacht werden, um nur eines zu erreichen: Gewinnmaximierung. Wo soll das nur alles enden? Hier ein Aufruf an alle Entscheidungsträger: Bei aller Geldgier – vergesst bitte die Romantik nicht!