
Cartoon: © Lo Graf von Blickensdorf
(Diese von mir persönlich erlebte und aufgeschriebene Geschichte erschien auch am 10.7.2022 im Berliner TAGESSPIEGEL in der Sonntagsbeilage unter der Rubrik "Berliner Liste")
Im Juli, wenn alles blüht und duftet, riecht Berlin für kurze Zeit wie eine ganz feine Dame. Sinnenfreudig tief einatmend, wie der geniale Duftfanatiker Jean-Baptiste Grenouille aus dem Süskind-Bestseller, lustwandele ich dann durch die Stadt. Ein Genuss! Ich erinnere mich noch, als meine Familie im Geistviertel am Kleibach gewohnt hat, da roch es im Juli ganz anders. Denn in den Sechziger Jahren floss der Kleibach noch überirdisch und mangels Kanalisation ist das ganze Abwasser dort hineingeleitet worden. Die genaue Beschreibung des Geruchs möchte ich den geneigten Leserinnen und Lesern lieber ersparen. Das war leider kein Genuss.
Auch kein Genuss ist, wenn ich mit dem neuen 9-Euro-Ticket mit den Öffentlichen
Verkehrsmitteln fahre. Neulich saß ein Mann mit Kopfhörern, Turnschuhen, die
früher mal weiß waren und ein T-Shirt, auf dem Flecken von Essensresten zu
sehen waren. Aus den Kopfhörern kam nur debiles „…mpf, mpf, mpf…“. Er roch so,
als hätte er sich zuvor in 30 Döner mit viel Zwiebeln und Knoblauchsoße
gewälzt, gepaart mit starkem Körpergeruch. Wahrscheinlich ist heute Morgen sein
Deoroller nicht angesprungen. Das alles roch ich noch durch meine FFP2-Maske. Meine Geruchsrezeptoren rebellierten und baten
mich inständig, den Waggon zu verlassen. Beim nächsten Halt wechselte ich den Waggon. Doch ich
kam vom Regen in die Traufe. Dort empfing mich eine Mischung aus alten Socken,
Asia Food, und einer großzügigen Prise Kleibach. Ein Geruch, für den sich sogar
Klärwerke schämen würden.
Auf einer anderen Fahrt setzte sich mal eine Frau neben mich, die stark nach
nassem Hund roch. Gleich fängt sie an zu bellen, dachte ich. Oder auf einer
Fahrt nach Potsdam saß ein Mann vor mir, der roch wie ein verdorbener alter
Hering, den man vor dem Urlaub im Kühlschrank vergessen hatte.Ich habe einfach kein Glück in den Öffentlichen
Verkehrsmitteln. Ich, der als hochsensibler Mensch, noch im 4. Stock
die Zigarettenmarke eines vorbeilaufenden Passanten erriechen kann, leide immer
Höllenqualen bei solchen Begegnungen. Die Außenseite eines Menschen ist das Titelblatt des
Innern, sagt ein altes Sprichwort. Und dass man sich regelmäßig wäscht und
nicht die schlechten Eigengerüche lediglich mit einem Deodorant übertüncht,
nur weil da "48-Stunden-Deo" draufsteht, versteht sich eigentlich
von selbst.
Gute Kleidung und angenehmer Körpergeruch ist Rücksichtnahme auf andere Menschen.
Und da sind wir wieder beim guten Benehmen, über das ich mich hier an dieser
Stelle schon öfters ausgelassen habe.Später sitze ich mit einer
lieben Freundin in einer Konditorei. Sie duftet betörend nach einer
Mischung aus frischem Citrus und dem zarten, geheimnisvollen Duft französischer
Rosen. Geht doch!
Diese von mir geschriebene Kolumne namens "Seitenblick" erscheint auch regelmäßig in der Münsterschen Zeitung.