Mittwoch, 19. August 2020

Konditern - Torte für alle!


Im Sommer, wenn der Tag morgens noch wie in frisches Stanniol gewickelt ist und betörend nach Lindenblüten riecht, tut Berlin kurzzeitig so, als sei sie eine ganz feine Dame.
Dann beginnt für mich die langersehnte FKK-Zeit. Nein, nicht das was Sie denken. Ich meine die Freikuchenkultur. Im Freien ein Stück Kuchen, einen Kaffee und viel Sonne genießen! Das ist für mich der Höhepunkt des Tages. Ich ziehe mich fein an, suche mir eine gemütliche Kaffeehausterrasse auf dem Kurfürstendamm oder anderswo, esse ein Stück Torte und trinke dazu einen Kaffee, lese, schreibe, zeichne etwas oder flirte mit der netten Tischnachbarin. Dabei fallen mir gelegentlich Sätze ein wie: „Ein Törtchen kann ein Gedicht sein, aber ein Gedicht niemals ein Törtchen.“  
Ich nenne es „Konditern geh`n“ – nach dem alten Lied „Warum soll er nicht mit ihr mal Konditern geh'n?“ von Claire Waldoff aus den Dreißigerjahren. Es gibt für mich kein schöneres Geräusch, als das Klappern von Kuchengabeln Nachmittags um Drei.  
Konditern ist für mich so etwas wie ein Belohnungssystem. Wenn man etwas Schönes erlebt, wird der Botenstoff Dopamin in unserem Gehirn aktiv. Ein Glückshormon. Das nutze ich, um häufiger die Dinge zu tun, zu denen ich eigentlich nicht so richtig Lust habe, die ich aber unbedingt tun möchte oder muss. Steuererklärung, Sport oder andere unangenehme Alltagssachen. Sorgen verfliegen wie Puderzucker im Wind. Probieren Sie es doch auch einmal aus.  
Leider werden schöne Cafés immer mehr von ungemütlichen industriellen Aufbackstationen verdrängt. Ach, wie schön war es bei Café Kleimann im Schatten der Lambertikirche ein Stück der weltberühmten Baumkuchen-Nougat-Torte zu verzehren. Oder im Straßencafé von Café Grotemeyer mit einem fabulösen Stück Schwarzwälder-Kirsch-Torte mit Blick auf den wunderschönen Erbdrostenhof zu genießen. Von Café Schucan will ich gar nicht erst anfangen.  
Auch in Berlin denke ich oft sehnsuchtsvoll an die großen traditionsreichen Konditoreien zurück. Legenden wie Café Kranzler, Café Möhring oder das plüschige Café Richter in Charlottenburg. Aus. Vorbei. Schluchz!  
Huch, jetzt habe ich aber emotional sehr nah am Kuchenblech gebaut. Schluss damit. Was ich jetzt mache? Konditern natürlich. Denn ohne Torte und Gebäck, hat das Leben keinen Zweck!

Dieser Text erschien auch in meiner Kolumne "Seitenblick" am 15.8.2020 in der Münsterschen Zeitung


Foto: Privat


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