Sonntag, 18. Oktober 2020

Schulfach des Lebens

Wer hat diesen Spruch nicht oft in seiner Kindheit von den Erwachsenen gehört: „Zwei Schlüssel öffnen dir jedes Herz, zwei niedliche kleine blanke, gib acht, dass du sie nie verlierst, sie heißen ‚Bitte‘ und ‚Danke‘“. Gestern habe ich zwei jungen Frauen die Kaufhaustür aufgehalten. Sie haben mich angeschaut, als hätte ich mich ihnen in schamverletzender Weise gezeigt. ‚Danke‘ zu sagen kam ihnen auch nicht in den Sinn.  
Danach ging ich zum Konditern in ein Café, in dem eine herrlich gedämpfte Atmosphäre herrschte. Wie geschaffen, um in Ruhe einen schwierigen Text zu lesen. Doch kaum hatte ich ein Stück Herrensahnetorte vor mir stehen, setzten sich zwei mittelalte Frauen an den freien Tisch hinter meinem Rücken und redeten so laut wie ein Bahnhofslautsprecher. Die dominantere von beiden hatte zusätzlich noch eine Stimme wie an der Schultafel  quietschende Kreide. An Lesen war nicht mehr zu denken. Und die Torte schmeckte auch nur noch halb so gut.  
Es passiert mir oft, dass die Menschen mir direkt vor meiner Nase die Kaufhaustür zuschlagen lassen. Oder mir fällt etwas zu Boden und niemand bückt sich danach. Es sei denn, es ist ein 500-Euro-Schein. Meine Theorie ist ja, dass die Menschen es nicht mehr in Kindergarten, Schule oder Universität lernen und deshalb gar nicht mehr wissen, was gutes Benehmen ist. Ich fordere deshalb: gutes Benehmen muss Schulfach werden!  
Als ich noch in Münster lebte und ein kleiner Junge war, fuhren noch Autos über den Prinzipalmarkt. Vor dem Rathaus stand immer ein dicker gemütlicher Polizist, im Volksmund „Bubi“ genannt, der mit Trillerpfeife und meist mit humorvoll-freundlichen Worten den Verkehr regelte. Jährlich zu  Heiligabend hat sich dann die Münsteraner Bevölkerung dafür bedankt und ihn mit Geschenken überhäuft. Dann stand er inmitten einer Insel voller Geschenke und regelte den Verkehr. Heutzutage erleben Polizisten leider eher das Gegenteil.   
Wissen denn die Menschen eigentlich nicht, dass wir in einer Gemeinschaft leben? Und es sich viel schöner leben lässt, wenn man gegenseitig Rücksicht nimmt? Zu Corona-Zeiten erst recht.  
Schön, dass Sie meinen kleinen bescheidenen Text zu Ende gelesen haben. Danke.

Dieser Text erschien auch in meiner Kolumne "Seitenblick" am 27.9.2020 in der Münsterschen Zeitung

Foto: Privat

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